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Fabeln
und
Parabeln
Ein Überblick von der Zeit der Antike bis zur Gegenwart
Vorwort
Ziel dieser Mappe soll es sein, Fabeln und Parabeln in den entwicklungsgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Um eine klare Begriffsklärung vorzunehmen, werden zunächst Definitionen und Erläuterungen zu beiden Literaturgattungen vorangestellt. Nachfolgend wird an ausgewählten Beispielen die Entwicklung der Parabel und der Fabel im Wandel der Literaturepochen dargestellt. Dazu werden Beispiele aus verschiedenen Literaturepochen angeführt sowie Vergleiche zwischen antiken Fabeln, barocken Fabeln und Fabeln der Aufklärung gezogen.
Wie herausgestellt wird, ist die Fabel nur als Spezialfall der Parabel zu betrachten. Deshalb wird vordergründig Wert auf die Merkmale der Parabel gelegt. Im Verlauf wird auf bedeutende Autoren der jeweiligen Epochen eingegangen, sowohl Fabeldichter als auch Parabelautoren.
Diese Mappe stellt eine Fortsetzung der ersten Ausgabe von „Fabeln & Parabeln“ dar. Besonders der Parabelteil wurde gründlich überarbeitet, um dem Leser einen tieferen Einblick in die Thematik zu ermöglichen.
Viel Spaß beim Lesen wünschen die Autoren Henrik Lange, Marek Lange, Christian Fischer und Andreas Kaldewey.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Parabel als Literaturform 4
1.1. Was ist eine Parabel ? 4
1.2. Fabel und Parabel als allegorische Sprachformen 4
1.3. Zur Abgrenzung von Fabel und Parabel 5
1.4. Entwicklung der Parabel 5
1.5. Beispiel für eine didaktische Parabel: Die Ringparabel aus „Nathan der Weise“ 7
1.5.1. Die ursprüngliche Boccaccio - Novelle 7
1.5.2. Die Ringparabel Lessings 7
1.5.3. Abweichungen von der Vorlage 8
1.5.4. Interpretation - Schaubild zur Ringparabel 9
1.5.5. Erläuterungen 9
1.5.6. Zur Ringparabel 9
1.6. Aufnahme biblischer Themen in der modernen Parabel - Beispiel für eine religiöse Parabel 10
1.6.1. Das Gleichnis vom verlornen Sohn 10
1.7. Kafkas Parabeln 10
1.7.1. Beispiel für eine verrätselte Parabel der Moderne 10
1.7.2. Interpretation in bezug auf autobiographische Notizen Kafkas 11
1.7.3. „Eisenbahnreisende“ 12
1.7.4. Ist der Lebenslauf ein Lauf zum Tode? 13
1.8. Beispiel für ein Parabelstück 14
1.8.1. Der gute Mensch von Sezuan 14
1.9. Beispiel für eine absurde Parabel 16
1.9.1. Max Frisch: Der andorranische Jude 16
2. Die Fabel als Literaturform 18
2.1. Definition der Fabel 18
2.2. Geschichte der Fabel 18
2.2.1. Die Fabel in der Geschichte der deutschen Nationalliteratur 18
2.3. Lessing über Fabeln 19
2.3.1. Gotthold Ephraim Lessing: Von dem Wesen der Fabel 20
2.4. Berühmte Fabeldichter der Antike 21
2.4.1. Äsop - Sklave und Dichter 21
2.4.2. Phädrus 22
2.5. Beispiele für Fabeln 22
2.5.1. Äsop: Der Fuchs und die Trauben 22
2.5.2. Äsop: Der Wolf und der Kranich 23
2.5.3. Luther: Vom Raben und Fuchs 23
2.5.4. La Fontaine: Die Grille und die Ameise 24
2.6. Vergleiche von Fabeln unterschiedlicher Literaturepochen 25
2.6.1. Vergleich „Die Grille und die Ameise“ von Äsop und La Fontaine 25
2.6.2. Vergleich „Der Wolf und das Lamm“ von Phädrus, Luther und Lessing 26
2.6.3. Vergleich „Der Wolf und das Schaf“ von Äsop und Lessing 29
2.7. Eigene Fabeln 30
Anhang 32
A Biographien der Autoren 32
A1 Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) 32
A2 Bertolt Brecht (1898 - 1956) 34
A3 Franz Kafka (1883-1924) 37
A4 Max Frisch (1911-1991), 38
B Index 40
1. Die Parabel als Literaturform 1.1. Was ist eine Parabel ?
Das Wort „Parabel“ ist aus dem Griechischen „parabolé“ abgeleitet und bedeutet „Gleichnis“, eigentlich das „Nebeneinanderwerfen“. Die Parabel ist eine poetische Ausdrucksform besonders der Lehrdichtung, bei der allgemeine moralische Wahrheiten aus dem menschlichen Leben beschrieben werden, wobei sie, oft als Teil eines umfassenden Werkes, eine in sich abgeschlossene Erzählung darstellt. Sie beinhaltet eine lehrhafte Beispielgeschichte, die von einem Vergleichspunkt aus durch Analogie auf den gemeinten Sachverhalt zu übertragen ist und in der alle Einzelteile ausdeutbar sind. Im Gegensatz zum verwandten Gleichnis, enthält die Parabel keine direkte Verknüpfung (verdeutlicht durch so wie) mit dem zu erörternden Sachverhalt, da sie einen zu einer selbständigen Erzählung erweiterten Vergleich symbolisiert. In der Parabel wird meist ein prägnanter Einzelfall (Erzählzeit: Präteritum) beschrieben, sie zielt, auch wenn sie aus ihrem unmittelbaren Kontext herausgelöst ist, auf die Vermittlung einer allgemeinen Erkenntnis, wobei die Grenze zur Fabel fließend ist.
Parabeln kommen häufig in der buddhistischen und christlichen Literatur vor und sollen der Vermittlung der Lehre dienen. In der Literatur des 20. Jh. nimmt die Parabel ebenso eine bedeutende Rolle ein.
Was ist der Unterschied zur Fabel ?
Die Parabel setzt einen eigenständigen Denkprozeß des Adressaten voraus und ermuntert ihn zur eigenständigen Erschließung der Lehre. Der Unterschied zur Fabel wird an der Verlagerung der Geschehnisse aus dem zwischenmenschlichen Bereich in die Tierwelt festgemacht.
1.2. Fabel und Parabel als allegorische Sprachformen
Wie die Fabel ist die Parabel eine Form allegorischer Rede. Sie zielt auf die Verbildlichung unanschaulicher Gedanken, indem sie eine Übertragung eines allgemeinen Sachverhalts in eine anschauliche Erzählung leistet. Wie die Fabel enthält die Parabel einen Bildteil und einen Sachteil. Es besteht die Notwendigkeit, »das Erzählte als Beispiel aufzunehmen und aus ihm das Gemeinte herzuleiten, wobei dieser Prozeß der Übertragung vom Autor selbst durchgeführt, nur angedeutet oder ganz und gar dem Leser überlassen werden kann.« Die Beziehung von Bild‑ und Sachteil ist anders als in der Fabel. Innerhalb des Bildteils finden sich keine eindeutig zu entschlüsselnden semantischen Indikatoren des gemeinten Sachverhaltes. Der Gleichnischarakter der Parabel ergibt sich nicht bereits explizit aus dem Bildteil wie in der Fabel; die Relation zwischen Bild‑ und Sachteil muß im Denkvorgang der Analogie erschlossen werden. Entweder können einzelne semantische Indikatoren innerhalb des Bildteils Hinweise auf das Gemeinte geben oder die Beziehung von Gesagtem und Gerneintem muß vom Autor im nachgestellten Sachteil selbst formuliert oder vom Leser ermittelt werden. Herder bezeichnet die Parabel als eine »Gleichnisrede, eine Erzählung mehr zu Einkleidung und Verhüllung einer Lehre als zu ihrer Enthüllung; sie hat also etwas Emblematisches an sich.« Der Sinn einer Parabel kann somit nicht in einem Sprichwort oder einer Sentenz zusammengefaßt werden.
Der Bildteil in der Parabel thematisiert keine typischen Verhaltensweisen, keine immer und überall vorkommenden Begebenheiten. Es wird vielmehr ein »einzelner Fall, der seiner Partikularität nach zunächst geringfügig erscheint«, erzählt (Hegel). Der einzelne Fall steht nicht für sich, sondern ist Beispiel und »Hindeutung auf eine höhere Bedeutung«, die im konkreten Fall veranschaulicht wird. Der Vorgang des Allegorisierens betrifft in der Parabel nicht den erzählten »Sonderfall« als Ganzes, sondern nur den »einen sonderbaren, aufregenden Zug, der das Ereignis zum Sonderfall macht« und in dem das Tertium comparationis, durch das Bild‑ und Sachteil vergleichbar werden, aufleuchtet. Beispiel: Kafka »Gib's auf«; Sonderfall: Suche nach dem Weg zum Bahnhof; Vergleichsaspekt: Doppeldeutigkeit des Weges als Fußweg und Lebensweg ‑ Tertium comparationis: Ausweglosigkeit. Auf Grund der unterschiedlichen Form der Allegorie ist auch die Funktion allegorischen Sprechens in Fabel und Parabel verschieden.
1.3. Zur Abgrenzung von Fabel und Parabel
Fabel wie Parabel sind Formen gleichnishafter Rede. Als erklärt didaktisch orientierte Textsorten besitzen sie sowohl informative als auch appellative Funktion, sind demnach Stilformen des Rhetorischen. Ihre didaktische Wirkintention richtet sich auf eine Verhaltensänderung der Rezipienten im Sinne einer Erweiterung ihres Wissens (über den Menschen und die »Weltverhältnisse«) und ihrer kritisch‑reflektorischen Fähigkeiten (kognitive Wirkung), aber auch im Sinne der Erzeugung einer Bereitschaft, aus gewonnener Erkenntnis handelnd Konsequenzen zu ziehen (pragmatische Wirkung). Die Wirkfunktion der Fabel und der Parabel wird deutlich durch die Art ihrer Aussagen wie auch durch ihre Formstruktur: Gegebenheiten (insbesondere Mißstände, die einer Veränderung bedürfen) der politischen, gesellschaftlichen und privaten Wirklichkeit werden auf einen gleichnishaften Modellfall übertragen und narrativ zur Anschauung gebracht, so daß ein poetisch‑fiktionales Bild entsteht: Dieses enthält die wesentlichen Gestaltzüge der gemeinten besonderen Gegebenheit des Lebens in signifikanter Weise. Einerseits werden diese »Fälle des Lebens« durch das Modell verfremdet, d. h. aus der abstandslosen Vertrautheit des Rezipienten gerückt (in kritischem Abstand), andererseits blieb das Modellbild jedoch rückbeziehbar auf den mit ihm gemeinten Fall (»Sitz im Leben«), weil (im Bild) das mit dem Fall Vergleichbare erhalten bleibt und sogar betont wird (Analogie). Die vergleichende Rückbeziehung auf das Gemeinte in der Wirklichkeit erfolgt (bewußt oder unbewußt für den Leser) über ein sogenanntes »Tertium comparationis« (d. h. über ein dem Bild und der mit ihm gemeinten Gegebenheit des Lebens gemeinsames Drittes). Fabel wie Parabel besitzen die Merkmale einer epischen Kurzform:. knapper Aufbau (kurze Exposition, antithetische Entwicklung des Geschehens, eine gezielt fortschreitende, auf eine überraschende Pointe zulaufende Handlung) sowie klare, durchsichtige Sprachgebung. Beide Eigenschaften erleichtern für den Rezipienten sowohl das Verständnis des Bildes als auch seine Anwendung (= Rückbeziehung).
1.4. Entwicklung der Parabel
Die Geschichte der Parabel ist noch ungeschrieben. Sofern Fabel und Parabel beide als parabolische Erzählformen gelten, ist die geschichtliche Überlieferung für beide Formen in ähnlicher Weise zu beschreiben. Der Ursprung beider Formen ist ungeklärt, weil sie Formen volkstümlichen Erzählens sind. Es wird jedoch angenommen, daß die Genealogie der europäischen Parabel nach Griechenland und Indien verweist. Das indische Jakata‑Buch aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert gilt als älteste schriftliche Überlieferung, die von den Griechen durch Äsop und Bahrios rezipiert wurde. In der antiken Rhetorik wurde die Parabel zu den erdichteten Paradigmen gezählt, die als anschauliche, in die Rede eingefügte Geschichten die Argumentation verstärken sollten (z.B. Geschichte des Agrippa Menenius Lanatus (5./4. Jahrhundert): „Vom Magen und den Gliedern“).
Die Geschichte der Überlieferung der Parabel vollzieht sich nach Brettschneider in ähnlicher Weise wie die der Fabel. Die Parabel wird wie die Fabel aus ihrer rhetorischen Tradition als Form der Rede bestimmt. Demgegenüber betont Heselhaus, daß die Parabel ihren Ursprung im religiösen Bereich habe und dadurch in Form und Inhalt jahrhundertelang geprägt war. Die Anfänge der Parabel in der frühneuzeitlichen Literatur sind auf Äußerungen von Francis Bacon in „Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften“ (1650) zurückzuführen, in denen er der parabolischen Dichtung mehr Gewicht beimaß als der erzählenden bzw. dramatischen.
Heselhaus weist darauf hin, daß sich die Parabel erst im 18. Jahrhundert zur eigenständigen literarischen Form zu entwickeln beginnt. Goethes „Buch der Parabeln“ (1819) weist auf die bedeutenden Traditionen der Parabeldichtungen im Orient, vor allem im Buddhismus und im Judentum hin. Eine besondere Rolle spielt die Parabel im Neuen Testament (z.B. die Parabel vom verlorenen Sohn). In diesen Religionen soll die Parabel der Vermittlung der Lehre dienen. Ihre eigentliche Relevanz als parabolische Erzählung erhält sie jedoch erst im 20. Jahrhundert.
Im Blick auf die geschichtliche Entwicklung wird deutlich, daß es verschiedene Parabeltypen gibt. Braak bezeichnet die Parabel als »Sammelbegriff« und differenziert vier Typen: die biblische bzw. religiöse Parabel, wie Sie vor allem aus den Gleichnissen des Neuen Testamentes bekannt ist (Parabel vom verlorenen Sohn usw.), die didaktische Parabel (Lessing, Ringparabel; Brecht, Geschichten von Herrn Keuner), die verrätselte Parabel der Moderne (Kafka, Musil, Dürrenmatt) und die absurde Parabel, wie sie der modernen Dramatik bei lonesco, Beckett, Frisch u. a. zugrunde liegt.
Bei der Einteilung Ivo Braaks fällt auf, daß der Begriff Parabel mehrdeutig verwendet ist. Unter Parabel wird einerseits die literarische Erzählform verstanden (die ersten drei Typen), andererseits das Grundkonzept der Handlung eines Dramas oder eines Erzähltextes (Typ vier). Beide Verwendungsweisen des Begriffs sind üblich. Der Terminus ist durch Polysemie gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang soll die Parabel ...
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