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Die glückliche Tina – Lösung
A. Anspruch aus § 611 i.V.m. § 315 BGB
Rudi Reich (R) könnte einen Anspruch auf Herausgabe der Goldkette aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. §
611 i.V.m. § 315 BGB haben.
I. Anspruch entstanden
1. Dienstvertrag
R und Tina (T) haben zwei aufeinander bezogene übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben,
mithin haben sie sich über einen Dienstvertrag nach §§ 611, 145, 147 BGB geeinigt.
2. Keine Wirksamkeitshindernisse
Zu fragen ist, ob T eine wirksame Willenserklärung abgegeben hat. Grundsätzlich sind von einem
beschränkt Geschäftsfähigen abgegebene Willenserklärungen nach §§ 106, 2, 107, 108 I BGB
schwebend unwirksam. Die Eingehung eines Dienstvertrages ist kein lediglich vorteilhaftes
Rechtsgeschäft. Tina` s Eltern als ihre gesetzlichen Vertreter gemäß §§ 1626, 1629 BGB haben jedoch
ihre Einwilligung in Bezug auf den Arbeitsvertrag gegeben, §§ 107 F.2, 182, 183 S. 1 BGB. T gilt daher
gem. § 113 I BGB hinsichtlich aller der Erfüllung der sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden
Verpflichtungen als unbeschränkt geschäftsfähig. Somit ist die Einigung zwischen T und R wirksam.
3. Herausgabepflicht
Problematisch ist, ob T eine Pflicht zur Herausgabe von Fundsachen aus dem Arbeitsvertrag hat. Ein
Arbeitsvertrag umschreibt nur allgemeine Pflichten des Arbeitnehmers. Aus diesem folgt ein
Direktionsrecht des Arbeitgebers, § 315 BGB. Der Arbeitgeber ist daher befugt, dem Arbeitnehmer
durch Weisungen seine Pflichten zu konkretisieren. R hat T die Weisung erteilt, gefundene Sachen bei
ihm abzugeben. Die Anweisung hält sich im Rahmen der gewöhnlichen Verpflichtungen eines
Angestellten. Demzufolge ist T aufgrund des Arbeitsvertrages verpflichtet, den Schmuck an R
herauszugeben.
II. Anspruch erloschen/ durchsetzbar
Der Anspruch ist nicht erloschen und durchsetzbar.
III. Ergebnis
Im Ergebnis hat R gegenüber T einen Anspruch auf Herausgabe der Goldkette aus §§ 611, 315 BGB.
B. Possessorischer Besitzschutz, § 861 BGB
Des Weiteren kann R gegen T einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes an der Goldkette
gemäß § 861 I BGB haben.
I. Besitzentzug bei Anspruchsteller als Besitzer
1. Besitz
Zunächst müsste R Besitzer der Kette gewesen sein. Ursprünglich war die Kundin Besitzerin. R könnte
im Zeitpunkt des Verlustes der Kette durch die Kundin Besitzer geworden sein.
Unmittelbarer Besitz
ist die tatsächliche Sachherrschaft, die nach der Verkehrsanschauung beurteilt wird und von einem
Herrschaftswillen getragen ist, § 854 I BGB.
Die tatsächliche Sachherrschaft erfordert eine räumliche Beziehung zur Sache. Das ist dann der Fall,
wenn die Sache sich in dem Herrschaftsbereich befindet, den Dritte üblicherweise achten. Beispiele
sind die eigene Wohnung, Grundstücke, Geschäftsräume etc. Die räumliche Nähe muss dabei von
gewisser Dauer und nicht nur vorübergehend sein. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der
ursprüngliche Besitzer die Sache verloren hat. Die Goldkette ist durch das Liegenlassen im Geschäft in
den Herrschaftsbereich des R übergegangen.
Fraglich ist, ob R einen Herrschaftswillen hatte. Der Besitzbegründungswille ist gegeben, wenn der
Wille zu besitzen nach außen erkennbar hervortritt und alle Sachen umfasst, die in seinen
Herrschaftsbereich gelangt sind. Eine Bezugnahme auf konkrete Sachen ist nicht erforderlich. R hat
die Weisung erteilt, ihm alle gefundenen Sachen zu geben. Der Herrschaftswille über Fundsachen ist
somit erkennbar nach außen getreten.
Folglich ist R Besitzer der Goldkette gewesen.
2. Besitzentzug
a) Besitzentzug infolge des Aufhebens der Kette
Infolge der Ansichnahme des Schmuckstücks durch T verliert R seinen unmittelbaren Besitz nicht. T
ist Besitzdienerin des R nach § 855 BGB und nicht selbst Besitzer.
b) Besitzentziehung wegen des Hineinlegens in den Spind
Als T die Goldkette in den Schrank legte, könnte R seinen Besitz verloren haben.
T kann beim Hineinlegen der Kette in ihren Schrank unmittelbaren Eigenbesitz nach § 854 I BGB
begründet haben. Der Besitz des R wird dann nach § 856 I BGB beendet. Dies wiederum beurteilt sich
nach der Verkehrsanschauung. Gewöhnlich dient ein Garderobenschrank zur Aufbewahrung
persönlicher Sachen. Dritten ist der Zugriff untersagt. Das spricht zunächst für einen Besitzentzug bei
R.
Zu überlegen ist, ob R nicht trotzdessen Besitzer geblieben ist. Das ist dann anzunehmen, wenn T
gemäß § 855 BGB Besitzdienerin geblieben ist. § 855 BGB setzt voraus:
aa) T hat als sie die Kette in den Schrank legte, eine räumliche Beziehung zur Sache begründet.
Folglich hat T
tatsächliche Sachherrschaft
erlangt.
bb) Überdies müsste ein
soziales Abhängigkeitsverhältnis
zwischen Besitzdiener und Besitzherrn
bestehen, infolgedessen der Besitzherr die tatsächliche Herrschaft durch den Besitzdiener als
Werkzeug
ausübt.
Dieses
Abhängigkeitsverhältnis
ergibt
sich
vorliegend
aus
der
Weisungsgebundenheit der T infolge des Arbeitsvertrages zwischen T und R.
cc) Die
Ausübung der tatsächlichen Gewalt fand im Rahmen des Abhängigkeitsverhältnisses
statt. T
handelte im Rahmen des Abhängigkeitsverhältnisses im Kassenbereich, als sie die Goldkette auffand.
dd) Nach h. M. muss für einen außenstehenden Dritten das
Abhängigkeitsverhältnis erkennbar
sein.
Es ist für einen Dritten offenkundig, dass der Arbeitnehmer in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis
zu seinem Arbeitgeber steht.
ee) Umstritten ist, ob ein
Besitzdienerwille
erforderlich ist.
- h. M.: Kein Besitzdienerwille erforderlich, selbst entgegenstehender Wille ist unbeachtlich.
- a. A.: Besitzdienerwille ist erforderlich, da niemand gegen seinen Willen Besitzdiener sein kann.
Dieser Wille wird durch Aufnahme einer Tätigkeit in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis
konkludent erklärt. Beachtlich ist nur ein ausdrücklich entgegenstehender Wille.
Eines Streitentscheids bedarf es an dieser Stelle nicht. T hat ausdrücklich keinen Willen geäußert, als
sie die Kette in ihren Schrank legte.
ff) Ergebnis: T hat beim Hineinlegen der Goldkette in ihren Spind weiterhin als Besitzdienerin des R
für diesen die tatsächliche Sachherrschaft ausgeübt. Es trat mithin kein Besitzverlust bei R ein.
c) Besitzentzug durch Verweigerung der Herausgabe der Goldkette
Ferner könnte T dem R den Besitz durch die Verweigerung der Herausgabe der Goldkette entzogen
haben. Betätigt der Besitzdiener nach außen hin den Willen, nicht mehr für den Besitzer besitzen zu
wollen, begründet er Eigenbesitz. Der Besitzherr verliert dann seinen Besitz. T will den Weisungen
des R nicht Folge leisten, verweigert die Herausgabe und will daher für sich selbst besitzen. Somit
findet ein Besitzentzug auf Seiten des R statt.
II. Verbotene Eigenmacht und fehlerhafter Besitz
Weiterhin müsste T dem R den Besitz durch verbotene Eigenmacht i. S. d. § 858 I BGB entzogen
haben und dadurch fehlerhaften Besitz nach § 858 II BGB erlangt haben. Unter verbotener
Eigenmacht handelt derjenige, der dem Besitzer den Besitz ohne dessen Willen und ohne gesetzliche
Gestattung entzieht oder stört. Fehlerhafter Besitz entsteht durch Verübung verbotener Eigenmacht.
T begründete Besitz an dem Schmuckstück ohne gesetzliche Gestattung und gegen den Willen des R.
Infolgedessen liegt verbotene Eigenmacht bzw. fehlerhafter Besitz vor.
III. Kein Ausschluss
Der Anspruch ist nicht gem. § 861 II BGB ausgeschlossen.
IV. Kein Erlöschen
Ein Erlöschensgrund nach §§ 863, 864 BGB ist nicht gegeben.
V. Ergebnis
Im Ergebnis hat R gegen T einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gemäß § 861 I BGB.
C. Herausgabeanspruch aus § 985 BGB
Im Weiteren kommt ein Anspruch auf Herausgabe der Goldkette des R gegenüber T aus § 985 BGB in
Betracht.
I. Anwendbarkeit
Streitig ist, ob § 985 BGB neben vertraglichen Herausgabeansprüchen anwendbar ist.
-
e. A.:
Vertragliche Ansprüche verdrängen den Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB.
-
h. M.:
Vertragliche und dingliche Herausgabeansprüche sind nebeneinander anwendbar. Für einen
Vorrang der Vertragsverhältnisse existiert keine gesetzliche Begründung.
II. Anspruchssteller ist Eigentümer
Fraglich ist, ob R Eigentümer ist. Ursprünglich war die Kundin nach § 1006 I 1 BGB Eigentümerin. Zu
denken ist an einen gesetzlichen Eigentumserwerb des R nach § 973 I BGB infolge des Auffindens der
Goldkette durch T. Dann müssten die Voraussetzungen des § 973 BGB i. V m. § 965 BGB vorliegen:
1. Verlorene Sache
Zunächst müsste die Goldkette verloren worden sein. Eine Sache ist nach § 965 BGB verloren, falls
sie besitzlos, aber nicht herrenlos ist. Die Kundin weiß nicht mehr, wo sich die Kette befindet. Somit
ist eine verlorene Sache gegeben.
2. Ansichnahme
Durch das tatsächliche Ergreifen hat T die Goldkette an sich genommen.
3. Ablauf der Sechs- Monatsfrist nach Anzeige
Problematisch ist die Einhaltung der sechs Monatsfrist nach der Anzeige bei der zuständigen
Behörde. T hat keine Anzeige bei einem Fundamt gemacht. Damit besteht kein Eigentumserwerb des
R nach § 973 i. V. m. § 965 BGB.
III. Ergebnis
Im Resultat besteht kein Herausgabeanspruch des R gegen T in Bezug auf die Kette gemäß § 985 BGB.
D. Petitorischer Herausgabeanspruch aus § 1007 I BGB
Darüber hinaus kann R gegen T einen Anspruch auf Herausgabe der Goldkette aus § 1007 I BGB
haben.
I. Ursprünglicher Besitzer
R war ursprünglich unmittelbarer Besitzer.
II. Gegenwärtiger Besitzer
T ist gegenwärtige unmittelbare Besitzerin
III. Bösgläubigkeit bei Besitzerwerb
Im Übrigen müsste T beim Besitzerwerb bösgläubig gewesen sein. Bösgläubigkeit liegt entsprechend
§ 932 II BGB vor, wenn jemand bei Besitzerwerb entweder Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis
hinsichtlich des fehlenden Besitzrechts hat. Zu fragen ist, wie sich die beschränkte Geschäftsfähigkeit
der T auswirkt.
-
e. A.:
Abzustellen ist entsprechend § 166 BGB auf die Bösgläubigkeit des gesetzlichen Vertreters.
Die Eltern der T hatten keine Kenntnis bezüglich des Ereignisses. Demzufolge ist ein Anspruch aus §
1007 I BGB zu verneinen.
-
richtige Ansicht:
Maßgebend ist aufgrund der Nähe zum Deliktsrecht die Bösgläubigkeit des
Minderjährigen entsprechend § 828 III BGB. Die Eltern gestatteten der T die Begründung eines
Dienstverhältnisses und an T`s Einsichtsfähigkeit bestehen keine Zweifel. Folglich ist T bösgläubig. Die
Schutzfunktion der §§ 106 ff. BGB ist nicht gefährdet. Der Anspruch des § 1007 I BGB bezieht sich
nicht auf die Abwicklung von Rechtsgeschäften. Somit ist dieser Ansicht zu folgen.
IV. Kein Ausschluss nach § 1007 III BGB
Aufgrund der Verpflichtung des Finders zur Aufbewahrung der Sache nach § 966 I BGB besteht ein
Ausschlussgrund nach § 1007 III 1 Hs. 1 BGB infolge fehlender Bösgläubigkeit nicht.
Infolge des Besitzentzugs der T durch verbotene Eigenmacht, ist ein Ausschluss wegen freiwilliger
Besitzaufgabe des R nach § 1007 III 1 Hs. 2 BGB nicht gegeben.
Ein Ausschluss gemäß §§ 1007 III 2, 986 BGB scheitert am fehlenden Besitzrecht auf Seiten der T. R
steht als Finder ein Recht zum Besitz nach § 966 I BGB zu. T ist lediglich Entdeckerin.
Zudem könnte ein Ausschluss gem. § 1007 II BGB analog gegeben sein. Die analoge Anwendung des §
1007 II BGB ist sehr umstritten. T ist jedoch keine Eigentümerin und die Kette ist ihr nicht abhanden
gekommen. Demzufolge muss der Streit nicht entschieden zu werden.
V. Ergebnis
Folglich hat R gegen T einen Anspruch auf Herausgabe der Goldkette aus § 1007 I BGB.
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